Friedensjournalismus ist ein relativ junges Forschungsgebiet der Psychologie, dessen Erkenntnisinteresse es ist, die Propagandaanfälligkeit herkömmlicher Kriegsberichterstattung zu erklären und die sozialpsychologischen Bedingungen einer Berichterstattung zu untersuchen, welche Konflikte für eine friedliche Streitbeilegung offenhält.

Aufbauend auf die medienwissenschaftliche Nachrichtenwerttheorie einerseits, sowie andererseits auf Ergebnisse der Sozialpsychologie, der Propagandaforschung sowie auf Modellen der konstruktiven Konfliktbearbeitung hat sich das Konzept des Friedensjournalismus im Zuge dieser Forschungs- und Entwicklungsarbeit von einem Gegenmodell zur Kriegspropaganda zum Modell einer konstruktiven Konfliktberichterstattung entwickelt, welche kompetitive Wahrnehmungsverzerrungen abbaut, bereits bei der Berichterstattung über geringfügig bis moderat eskalierte Konflikte einsetzt, die blinden Flecken füllt, durch welche die Konfliktwahrnehmung belastet ist, die Beilegung des Konfliktes auf dem Verhandlungsweg unterstützt, Verhandlungen kritisch begleitet und vernünftige Gemeinsamkeit zwischen den Verhandelnden und der Öffentlichkeit herzustellen trachtet.

Eine Vielzahl an Untersuchungen über Kriegsberichterstattung, Nachkriegsberichterstattung sowie Berichterstattung über Versöhnungsprozesse einerseits, sowie über politische Interessenkonflikte, wie sie auch aus demokratischen Gesellschaften nicht wegzudenken sind andererseits, bestätigt den eskalationsorientierten Bias herkömmlicher Konfliktberichterstattung. Sie zeigt aber auch, dass Friedensjournalismus machbar ist, wenn es denn gewollt ist. Die Zugehörigkeit des Journalismus zu zwei „contradicting communities the professional and the national“ lässt das Pendel jedoch (nicht nur in Kriegs- und Krisenzeiten) oft in Richtung auf eine eskalationsorientierte Berichterstattung ausschlagen. Ob es dazu kommt, hängt aber davon ab, wie Journalisten ihre Solidarität mit der eigenen Gesellschaft verstehen und ob sie sich der Verantwortung stellen, dem Frieden eine Chance zu geben.

Um zur Deeskalation von Konflikten beitragen zu können, genügt es zudem nicht, sich bewusst zu sein, dass Journalismus einen Beitrag zur sozialen Konstruktion der Wirklichkeit leistet; man muss sich auch bewusst sein, dass es eben nur ein Beitrag ist. Und wenn Friedensjournalismus dem Frieden eine Chance geben will, muss er sich darüber im Klaren sein, wen er anspricht und wie er ihn ansprechen kann.

Schlüsselwörter: Kriegsdiskurs, Friedensdiskurs, konstruktive Konfliktberichterstattung, Medienanalysen, Rezeptionsstudien, Produktionsbedingungen

Wilhelm Kempf

Prof. Dr. phil. habil., geb. 1947, ist emeritierter Professor für psychologische Methodenlehre und Friedensforschung an der Universität Konstanz. Er veröffentlichte zahlreiche wissenschaftliche Publikationen über Forschungsmethoden, gewaltfreie Konfliktlösung, Friedensjournalismus und Antisemitismus. Seit 2002 ist Prof. Dr. Kempf Herausgeber der transdisziplinären Fachzeitschrift conflict & communication online (www.cco.regener-online.de). 2014 veröffentlichte er gemeinsam mit dem israelischen Medienwissenschaftler Dov Shinar das Buch „The Israeli-Palestinian Conflict: War Coverage and Peace Journalism“. 2015 erschien seine Monographie „Israelkritik zwischen Antisemitismus und Menschenrechtsidee. Eine Spurensuche“. eMail: , Website: http://www.pfkn.regener-online.de/