Genozide werden allgemeinhin als die intentionale, oft aber nicht nur mit physischer Gewalt verbundene Vernichtung einer klar identifizierbaren Gruppe von Nichtkombattantinnen und Nichtkombattanten verstanden. So neu der Begriff ist, so alt sind viele der Praktiken. Dazu gehören massenhafte Tötungen, Vertreibungen, Versklavung, Kinderdiebstahl, Zerstörung kultureller und religiöser Orte bzw. Verbot der Ausübung von Bräuchen und Ritualen, sowie der Nutzung der je eigenen Sprache. Hinter diesen Maßnahmen stehen zumeist politische Motive, die eng an die Erlangung und Aufrechterhaltung zentralisierter politischer Macht gebunden sind.

Psychologische Konzepte und Erkenntnisse werden für Forschende im Feld relevant, wenn es um die Erklärung individuellen und kollektiven Agierens im Kontext dieser spezifischen Form kollektiver Gewalt geht. Vor allem die Ergebnisse experimenteller sozialpsychologischer Studien aus den 1940-70er Jahren bilden seit Jahrzehnten das Rückgrat oft weitreichender erklärender Erzählungen. Die vielfältigen Probleme einer Übertragbarkeit dieser Studien auf doch sehr diverse Ereignisse blieben lange Zeit unbeachtet. Insbesondere im letzten Jahrzehnt sind allerdings zunehmend Studien erschienen, in denen die Geltung der Klassiker neu bewertet wird.

Neben dieser Einordnung alter Arbeiten mag die Fruchtbarmachung bisher wenig beachteter Zugänge zum Verständnis von Gewalt in sehr unterschiedlichen historischen und kulturellen Kontexten beitragen. Das beträfe zum einen Aspekte, die kulturspezifisch sind wie Sinnbildungsprozesse, Identitäts- und Selbstkonstruktionen. Zum anderen sind dies Aspekte, die aktuell noch gar nicht benannt werden können. So gibt es eine Reihe von Autor*innen, die seit einigen Jahren an der Entwicklung einer in ihren Worten genuin afrikanischen Psychologie arbeiten. Ob sich daraus neue Zugänge für die Gewalt- bzw. Friedensforschung ergeben, muss sich noch erweisen. Hinzu kommen indigene Zugänge, die sich selbst gar nicht als Psychologie bezeichnen. Das sind etwa religiöse Deutungen menschlichen Agierens wie sie sich beispielsweise im Hinduismus, Buddhismus und damit auch in Meditationspraktiken finden. Weiter gibt es Psychologien, die Kultur nicht als Störfaktor, sondern als fundamental für das Verständnis individueller Psychen deuten. Ein Beispiel ist die Kulturpsychologie.

Schließlich greift die Fokussierung auf die Gewaltausführenden konzeptionell zu kurz. Denn jede individuelle Aktion, die in zeitlicher und räumlicher Nähe zur Gewalt stehen sind Teil ihrer Ermöglichung (u.a. absperren, transportieren, verwalten, oder auch nur die Versorgung der Mordenden mit Lebensmitteln. Genauso können solche Handlungen Teil der Verhinderung, Eindämmung oder Minderung der Gewalt sein (u.a. widersprechen, nicht mitmachen, verstecken, kämpfen).

Schlüsselwörter: Genozid, indigene Psychologie, Kulturpsychologie, Prävention, Sozialpsychologie

Christian Gudehus

Geboren 1968, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fakultät für Sozialwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum, Studium der Sozialwissenschaften an der Universität Hannover, Promotion an der Universität Hannover, Habilitation an der Ruhr-Universität Bochum, Forschung, Lehre und Publikation im Feld der Erinnerungs- und Gewaltforschung.